Wege der Selbstsabotage – Teil 1

Perfektionismus als Schutzmechanismus

Ich hatte als Kind endlos viele Dinge, die mir Spaß gemacht haben, die ich ausprobieren wollte, das Malen war darunter nichts besonderes.

Ich erinnere mich aber auch, dass ich später als Jugendliche und junge Erwachsene immer dann, wenn ich aus irgendeinem Grund malen musste, richtig Freude empfunden habe dabei. Meist in Therapiesitzungen. In einer Klinik, und während Kuraufenthalten. Ich bin dabei immer voll aus mir raus gegangen, war richtig enthusiastisch und hätte stundenlang malen können. Nur aus mir selbst heraus hab ich es nie begonnen.

Bis ich in die Dreißiger kam. In richtig guten Momenten, mit viel Ruhe und viel Zeit, hab ich ein Blatt Papier und etwas Farbe genommen, oder einfach einen Bleistift, und losgelegt. Mehrere Wochen hab ich gemalt und gezeichnet, bis die Phase vorbei war. Dann kam etwas anderes, das meine Aufmerksamkeit voll und ganz gefordert hat, bis auch das wieder vorbei war.

Doch die Mal-Phasen kamen immer wieder, mindestens einmal im Jahr für mehrere Wochen oder sogar Monate. Und verschwanden auch wieder.

Irgendwann habe ich von der Bezeichnung Scanner-Persönlichkeit (bald kommt auch darüber ein Artikel) gehört und mich damit identifiziert, nachdem ich ziemlich viel darüber gelesen habe. Aber es blieben Zweifel. Bin ich tatsächlich eine Scanner-Persönlichkeit oder doch nur eine blockierte Malerin? Oder nichts von beidem, und ich probiere einfach nur herum, habe zu wenig Durchhaltevermögen und Selbstdisziplin, um dran zu bleiben. Oder es ist einfach nicht mein Ding.

Diese Zweifel haben mich viele Jahre lang begleitet.

Mittlerweile habe ich mich entschlossen, das Zweifeln aufzugeben und den Begriff Künstlerin oder Malerin einfach außen vor zu lassen. Nicht darüber nachzudenken, das Labeln zu lassen und es einfach zu tun, weil es schön ist, weil es mir Spaß macht. Oder Spaß machen kann. Manchmal funktioniert es schon.

Denn Tatsache ist, dass ich von der Malerei immer wieder angezogen, immer wieder inspiriert werde und Lust habe zu malen, zu zeichnen, schöne Bilder zu kreieren. Das Bedürfnis ist da, und ich kann hin und wieder auch in eine Art Flow kommen, wenn die Umstände stimmen.

Bisher habe ich nur nicht gesehen, dass meine Art und Weise, wie ich Projekte angehe, sehr eingeschränkt ist, mich selbst beschränkt. Ich hab immer gedacht, ich muss erst viel lernen, viel zeichnen üben, viel über Farben und Komposition und Licht- und Schattenwerte lernen, um einigermaßen „gut“ zu sein, oder mich gar „Künstlerin“ nennen zu dürfen. Und ich habe diese Sichtweise nie in Frage gestellt.

Ich sehe oft die Freude im Arbeiten anderer Künstler, denen ich auf youtube und Instagram folge. Oder die ich im echten Leben kennenlerne. Die Hingabe, das konstante Dranbleiben. Ich dachte mir immer, das habe ich nicht, also bin ich keine echte Künstlerin. Brauche mich so nicht nennen und kann es ganz sein lassen.

Dass ich aber diese Freude nicht empfinde liegt nicht daran, dass ich nunmal einfach keine Künstlerin bin. Sondern an meiner Herangehensweise.

An meinem Perfektionismus zum Beispiel.

Wenn ich eine Idee für ein neues Projekt habe, muss es von Anfang an so perfekt wie möglich sein. Ich beginne, darüber nachzudenken, überlege mir Methoden, grüble, welche Materialien ich dafür brauche, wie ich es angehen kann, wann die richtige Zeit dafür ist, wo der richtige Ort. Ich gehe verschiedene Wege in Gedanken durch, gehe zweite und dritte Schritte, überlege Alternativen, frage mich, was ist, wenn etwas nicht funktioniert, denke über Möglichkeiten nach, damit umzugehen. Ich recherchiere ewig, denke übermäßig nach, und spätestens dann bauen sich Zweifel auf. Ist das wirklich etwas, was ich will? Kann ich das überhaupt? Überfordere ich mich damit nicht eher? Bin ich eigentlich größenwahnsinnig zu denken, dass das was werden könnte? Und letztendlich, wen wundert es, gebe ich auf. Der Moment der Inspiration, die Zeit für Inspired Action ist vorbei. Ich denke, das kann ich nicht schaffen, die Energie, es zu wollen und anzufangen, verschwindet, und ich lasse es sein.

Perfektionismus macht keinen Spaß. Er macht mich eng, ich kann kaum atmen, bekomme Kopfschmerzen und verkrampfe mich. Wenn ich ein Projekt mal bis zum Ende schaffe, kommt dabei vielleicht hier und da etwas einigermaßen respektables heraus, aber irgendetwas fehlt meist. In meinen Augen fehlt meine Fähigkeit. Und Spaß hat es auch nicht gemacht. So dran zu bleiben ist total schwer. Aus welchem Grund sollte ich das wieder tun? Aus welchem Grund sollte ich den Pinsel wieder in die Hand nehmen und etwas neues malen? Es ist verkrampft und tut so lange weh, bis es fertig ist. Da fehlt mir echt die Motivation, und die kommt auch nicht irgendwann.

Ich frage mich, warum macht mein System das mit mir? Was passiert da in mir? Welche Funktion hat dieses Muster?

Ich glaube, dass solche Muster wie der Perfektionismus Mechanismen sind, die wir entwickelt haben, um uns vor irgendetwas, was uns früher passiert ist und uns große Angst gemacht hat, zu schützen.

Wovor will mich mein Perfektionismus schützen?

– Ich habe immer Sorge, nicht genügend Kraft zu haben für alles, was ich im Alltag tun muss, alleinerziehend mit zwei Kindern, Job, Haus mit Garten, Sorge für meine Eltern. Daher will ich keine Energie verschwenden für etwas, das vielleicht nicht funktioniert oder das ich neu machen muss. Ich denke, wenn ich alles gut durchdenke, bevor ich beginne, erspare ich mir die Trial and Error-Phase, die Energie verschwendet, und komme auf direktem Wege zum Ziel (Spoiler → das funktioniert nicht)

– Er will mich vor Kritik schützen, davor, abgelehnt zu werden. Ängste, die in mir drinstecken, die sich vielleicht schon in der Kindheit gebildet haben, wie so oft.

– Er will mich vielleicht sogar vor mir selbst schützen. Mit der Angst vor Kritik und Ablehnung geht auch die Angst davor einher, was ich hinterher selbst von mir denke. Wenn ich etwas kreiere, was jemand nicht mag, kann es mich in Selbstzweifel bringen. Ich beginne, mich zu hinterfragen und eventuell aufzugeben. Wenn ich es lasse, bleibt mir wenigstens der Traum vom Malen. Oder Schreiben. Oder was auch immer gerade dran ist.

Wie kann ich die kleine Perfektionistin in mir beruhigen und dann mein Ding machen?

Zum einen kann ich mir ein paar Gegenargumente überlegen.

– Trial and Error verschwendet keine Energie. Ich lerne dadurch auf praktische Art sehr viel. Durch Trial and Error verbrauchte Energie ist niemals verschwendet, denn das Fertigwerden ist nicht das einzige Ziel. Der Weg, das Lernen, das Wachsen sind so wichtig im Prozess.

– Ich weiß aus jeder Erfahrung, dass das Tun der Dinge mit Freude mir Energie gibt.

– Mit mittlerweile 44 Jahren, viel Lebenserfahrung, Selbsterfahrung und inneren Wachstums kann ich langsam sagen, dass die Angst vor Kritik und Ablehnung ein Relikt von früher ist, das noch im Unterbewusstsein schmort. Sobald ich sie an die Oberfläche, an mein Bewusstsein hole, kommt ein mir sehr liebgewordener Teil von mir dazu, der sich mit Anfang 40 gebildet hat, und sagt: Pfff, sch*** doch drauf, was die anderen sagen. Und fühle mich wohl damit. Da die Angst aber noch im Unterbewusstsein steckt, gehe ich möglichst liebevoll mit ihr um und hole sie auf meine Bewusstseinsbühne, sobald ich sie entdecke. Beleuchte sie solange, bis sie nicht mehr dunkel über mir schwebt, sondern klein und lieb zur Seite tritt.

Zum anderen habe ich noch eine weitere, praktische Methode gefunden, was das Malen betrifft:

Ein neuer Blickwinkel. Ich kann lernen, zu entspannen. Hyperrealistische Kunst ist nicht die einzige Art von Kunst, die es gibt. Ich verstehe rein gar nichts von Abstrakter Kunst, aber in letzter Zeit zieht sie mich an. Expressionistische Kunst. Ich versuche, hineinzuschauen, beginne langsam zu experimentieren. Mit wenigen Farben und Mischungen, lockereren Haltungen, im Atemrhythmus, im Rhythmus von Musik zu malen, nur so, ohne Ziel. Kein Endprodukt im Kopf zu haben, kein fertiges Bild. Sondern das Tun als Ziel, das Fühlen, die Wahrnehmung.

Kleine Schritte ins Unbekannte.

Es fällt mir schwer. Viele Stimmen in mir, die schreien:“Papierverschwendung! Die gute Farbe! Alles verschwendet! Zeit verschwendet!“

Aber ich will es, weil es sich gut anfühlt. Ziemlich gut sogar. Die Musik hilft mir, die Stimmen zu überhören.

Ich will herausfinden, wo es mich hinführen kann, bin zu neugierig.

Ich will schon auch noch zeichnen. Will weiter Gesichter zeichnen lernen, Licht- und Schattenwerte erkennen. Farbunterschiede sehen, gut, locker und routinierter im Zeichnen werden. Aber nur, um auch das zu lockern und die Züge in der Muskelerinnerung zu haben, den Blick zu haben für Formen und Werte, und sie lockerer umsetzen zu können. Und daneben will ich loslassen lernen, andere Ziele kennenlernen, experimentieren und frei und wild malen, das Malen wieder lieben. Um des Malens willen.

Manchmal schleicht sich ein kleiner Gedanke in meinen Kopf, an der ziemlich großen inneren Kritikerin vorbei. Einer, der mich dann leise vor mich hin schmunzeln lässt:

Eigentlich ziemlich beeindruckend von dir, dass du das Malen noch immer nicht aufgegeben hast. Dass du immer wieder dorthin zurück kommst, noch immer probierst, andere Wege zu finden, um dich von der Malerei anziehen zu lassen.“

Das muss Liebe sein…


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